Queer, jüdisch und kein bisschen leise
Als jüdische Community sind wir mit Intersektionalität, historisch begründet, schon immer sehr vertraut gewesen. Ob bucharisch, sephardisch, libanesisch, schwarz oder einfach jüdisch und österreichisch. Das Judentum hat schon seit jeher die Basis für eine wunderbare Melange verschiedenster Kulturen mit der der jüdischen gebildet. Doch was ist eigentlich mit jüdisch und trans? Jüdisch und asexuell? Jüdisch und bi? Kurz: jüdisch und queer?
Zu einleuchtend scheint der Gedanke, dass queere Menschen, ja tatsächlich, auch in der jüdischen Gesellschaft irgendwo ihren Platz verdienen. Umso trauriger stimmt also der Fakt, dass es heutzutage immer noch Menschen gibt, die sich nicht trauen, sich in ihrer Familie oder Gemeinde zu outen. Die sich nicht trauen, ihre jüdische UND ihre queere Identität stolz und offen auszuleben.
Die jüdische Gemeinde in Wien zeigt kaum Toleranz für Homosexualität. Wie soll denn Homosexualität auch möglich sein? Frau und Mann wurden füreinander geschaffen. Adam und Eva, nicht Adam und Edi. Alles andere sei unnatürlich. Homosexualität passt nicht in ihr Weltbild hinein. Es geht einfach nicht. So etwas existiert in der jüdischen Gemeinde ja nicht. Und wenn doch, dann bitte nur hinter verschlossenen Türen. Und auch da bitte nicht zu laut.
Es macht uns traurig zu erleben, dass Menschen Angst haben müssen, von der eigenen Familie und Gemeinde verstoßen zu werden, nur weil ihre Lebensrealität nicht zu der archaisch-heteronormativen ihres Umfelds passt. Dass Menschen gezwungen sind, in einer Lüge zu leben, nur um “die Ehre der Familie”, oder ähnliches patriarchales Gedankengut, welches eher sorgfältig entsorgt als in die Mitte unserer Gesellschaft gehört, zu erhalten. Dass Menschen nicht frei lieben können, nur weil ihre Familie um Tuscheleien oder Ähnliches besorgt sind.
So geht es aber leider vielen Jüdinnen und Juden in ganz Österreich. Auch in unseren Reihen haben wir bemerkt, dass es starken Bedarf nach einem sicheren Raum für queere Jüdinnen und Juden gibt. Nach einem Ort des gegenseitigen Verständnisses und der gegenseitigen Unterstützung. Wo man unbeschwert Jüdin:Jude und queer sein kann. Alle, die sich als jüdisch und queer identifizieren, sind bei uns willkommen. Und natürlich auch Allies jeder Art.
Genau aus diesem Grund haben wir Keshet Österreich gegründet. Wir wollen in einer Welt leben, in der wir alle unsere Identitäten in ihrer Gänze offen ausleben können. Doch was ist Keshet überhaupt?
Kurz zusammengefasst: Keshet (Hebräisch: MWi‘, “Regenbogen”) ist ein Safe Space und eine weltweite Bewegung. Keshet US (das Ur-Keshet quasi) wurde 1996 von einer Gruppe queerer Jüdinnen und Juden, die bis dato keinen eigenen Ort hatten, um ihre jüdische queere Identität frei auszuleben, in Boston gegründet. Zwar gab es zu diesem Zeitpunkt schon eine große und florierende Gemeinde und mehrere jüdische Organisationen und Vereine, keine jedoch, die explizit jüdischen LGBTQIA+-Personen einen Raum und Unterstützung geboten haben. Und so war nicht nur der erste KeshetVerein, sondern auch die Bewegung Keshet, geboren.
2018 wurde auch in Deutschland ein Keshet-Verein gegründet. Es waren junge, queere, jüdische Aktivist:innen die zusammen etwas unglaublich Wichtiges geschafft haben: den jüdisch-queeren Safe Space nach Deutschland zu bringen.
Nun, wie ein Sprichwort schon besagt: „Sollte die Welt untergehen, fahr ich nach Österreich. Dort passiert alles erst 50 Jahre später!“. Wir haben zwar nicht ganz so lange gebraucht, aber ein bisschen hat diese Entwicklung schon auf sich warten lassen. Gut‘ Ding braucht ja bekanntlich Weile (oder wie eines unserer Gründungsmitglieder so schön zu sagen pflegt: “Vom Hudeln kommen schirche Kinder”). Wie dem auch sei, nun ist es also auch hier so weit: 25 Jahre nach der Erstgründung Keshets in den USA können wir mit Stolz sagen, dass es jetzt auch Keshet hier in Österreich gibt!
Wir wollen zeigen, dass es in unserer Gemeinde Diversität gibt und dass das auch gut so ist. Doch wer sind „wir“ eigentlich? Wir sind ein Kollektiv queerer, jüdischer Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Alle kommen aus verschiedenen Kulturen, sind mit verschiedenen Traditionen und Bräuchen aufgewachsen, haben jedoch ein gemeinsames Ziel: mehr Akzeptanz und Offenheit in Österreich zu schaffen.
Wir sind der Anfang einer offeneren und inklusiveren Gemeinschaft.
Mit Get-Togethers, gemeinsamen Feiern, aber auch politischem Aktivismus und Aufklärungsarbeit wollen wir mit euch unsere Gemeinden zu offeneren, bunteren, inklusiveren, schöneren Orten machen. Weil wir für eine Welt sind, in der jede:r ohne Angst verschieden sein kann. Weil keine zwei Identitäten ein Widerspruch sein müssen. Weil jüdisch und queer zu sein kein Widerspruch ist.
DER KESHET VORSTAND
Mehr von Keshet Österreich findet ihr auf Instagram unter @keshet_at