Keine Liebe für Antisemitismus

Keine Liebe für Antisemitismus

Unter dem Titel »Die Hamas und der 7. Oktober – Eine feministische Kritik an Antisemitismus und Islamismus« veranstaltete das KEINE LIEBE Kollektiv gemeinsam mit Alon Ishay und Sashi Turkof von der JöH am 18. März einen Vortrag in der Aula am Campus der Uni Wien. Was waren die Beweggründe? Die Genossinnen berichten hier, warum es in ihren Augen essentiell ist, sich als feministisches Kollektiv aus Wien zum 7. Oktober zu positionieren.

Was nicht alles passieren kann, wenn man sich nur richtig beschwert: Am 8. März 2023 trafen wir uns – damals noch als Freundinnen von Freundinnen – auf ein Bier, um uns mal so richtig aufzuregen: über die feministische Vereinzelung unserer Generation, den Mangel an ideologiekritischen Bündnissen und das vorherrschende Gefühl der Feindseligkeit innerhalb der feministischen Wiener Linken.

Den von Alkohol und Frust getränkten Diskussionen entwuchs der brennende Wunsch, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen: ein frauensolidarisches Kollektiv, das oft ausgeklammerte Themen aufgreift (zum Beispiel Kapitalismuskritik, Prostitutionskritik, Religionskritik) – und einen Safe Space schafft, in dem niederschwellige Frauenbildung und Austausch abseits des männlichen Blicks geschehen können, denn dies ist für Frauen unumgänglich für die Entwicklung eines Klassenbewusstseins und der Überwindung der kollektiven Ohnmacht. Aus diesen Gedanken heraus entwickelten wir das Konzept unserer Frauenstammtische: Jeder Abend steht unter einem Thema, zu dem wir oder Gästinnen einen kurzen Input vorbereiten. Im Anschluss eröffnen wir Diskussion und Bar, um uns dem Thema in freundschaftlicher Atmosphäre zu widmen. Wir stellen den Anspruch an uns und unsere Teilnehmerinnen, einen lösungsorientierten, zugewandten Diskussionsstil zu entwickeln – egal, wie umstritten das Thema auch sein mag. 

Über ein Jahr später sagen wir: Die Kombination aus männerfreien Räumen, differenzierten Zugängen und guter Moderation machen es möglich, Debatten so zu führen, dass alle gestärkt und mit neuen Gedanken daraus hervorgehen. Beiläufig etablierten wir uns – aus der feministischen Landschaft in Wien sind unsere Veranstaltungen mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

Feministische Arbeit im Schatten des 7. Oktobers

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober war für uns sowohl persönlich als auch für unsere feministische Arbeit ein einschneidendes Erlebnis. Der „Schwarze Samstag“ stellte eine Zäsur dar: Es wurden so viele Jüdinnen und Juden getötet wie seit der Shoah nicht mehr. Israelische Frauen wurden Opfer von Massenvergewaltigungen, und zahlreiche Geiseln wurden in den Gazastreifen verschleppt, wo bis heute 129 Personen gefangen gehalten werden. Wir entschieden uns dazu, ein Statement zu verfassen, um unserer Solidarität Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig sahen wir in Anbetracht unserer Follower:innen, die aus jungen, politisch interessierten Menschen besteht, die Notwendigkeit, Aufklärungsarbeit über die ideologische Grundlage der Täter zu leisten.

Auf weitere Solidaritätsbekundungen von feministisch-aktivistischer Seite, die die antisemitischen und misogynen Gewalttaten ebenfalls anprangern, warten wir bis heute. Bis auf einige wenige feministische Gruppen (beispielsweise die Kasseler Gruppe „Vielstimmigkeit im Feminismus“) äußerte sich niemand zu der grauenvollen geschlechtsspezifischen Gewalt, der zahlreiche Jüdinnen zum Opfer fielen. Stattdessen konnte man vielerorts das Gegenteil beobachten: Die Vergewaltigungen wurden geleugnet und infrage gestellt, ironischerweise von Gruppierungen und Personen, die sich den #Metoo– und Believe women– Bewegungen zuordnen.

Die Entscheidung, einen Vortrag auszuarbeiten, der den 7. Oktober und die der Hamas zugrunde liegende antisemitische und frauenverachtende Ideologie tiefer betrachtet, ergab sich aus dem Bedürfnis, nicht in der Rolle der stummen Beobachterinnen zu verbleiben – vor allem dann, wenn so viele andere linke Gruppen gleichfalls schweigen oder, im schlimmsten Fall, die Taten der Hamas gar befürworten. 

Hinzu kam, knapp ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober und genau 10 Tage vor unserem Vortrag, eine weitere abstoßende Erfahrung: Die diesjährige Demonstration am 8. März thematisierte weder die brutalen Übergriffe auf jüdische und israelische Frauen explizit, noch schützte sie Jüdinnen und Juden ausreichend vor antisemitischen, pro-islamistischen Blöcken, die der Demonstration beiwohnten. An diesem Beispiel sieht man erneut, wie wenig eine feministische Bewegung wert ist, die Kritik an Antisemitismus ausklammert – denn wo Antisemitismus auftritt, ist Frauenhass nicht weit. Die beiden Ideologien verschränken sich miteinander und treten oft gemeinsam auf. Im Folgenden werden wir genauer darauf eingehen, warum also eine intersektionale Betrachtungsweise, die Antisemitismus einbezieht, für den Feminismus unerlässlich ist.

Was hat Antisemitismus mit Frauenhass zu tun?

Eine tiefgehende strukturelle Analyse gesellschaftlicher Herrschaft ist – gerade in der postnazistischen Gesellschaft – ohne Einbezug der Besonderheit des antisemitischen Wahns wirkungslos. Als Frauen, die in der Linken politisiert wurden, geht für uns eine kapitalismuskritische Auseinandersetzung mit den Produktionsbedingungen unserer Gesellschaft notwendigerweise mit einer Kritik des Antisemitismus einher. Zugleich gilt es, Ideologien nicht isoliert, sondern im Sinne einer intersektionalen Analyse zu verstehen: Als sich miteinander wechselseitig bedingend und gemeinsam auftretend. Die Bewusstseinsstrukturen in unserer Gesellschaft zeigen eine Tendenz, komplexe, unpersönliche und widersprüchliche Herrschaftsverhältnisse in einfache Seiten aufzuspalten und diese gegeneinanderzustellen. Antisemitismus und Frauenhass funktionieren beide als dichotomes Weltbild: Die Welt wird in gut und böse aufgeteilt – einerseits als Aufspaltung des Kapitalismus in das hart arbeitende, authentische Volk und die geldraffende Finanzsphäre im Antisemitismus („schaffendes und raffendes Kapital“), andererseits als Aufspaltung in die gute, nährende Mutter und die böse, verführerische Frau im Frauenhass (Heilige-Hure-Dichotomie). Beide Ideologien naturalisieren dadurch die gesellschaftliche Ordnung und wirken somit herrschaftsstabilisierend: Gesellschaftliche Widersprüche werden in der Frau als Natur umgedeutet oder in Jüdinnen und Juden personifiziert. Beide Phänomene begreifen gesellschaftliche Kapital- und Geschlechterverhältnisse also nicht als menschengemacht und damit als veränderbar, sondern lokalisieren und bekämpfen innere Konflikte in der Projektion nach außen. 

Das muss linke und feministische Gesellschaftskritik aufgreifen und kritisieren. Denn genau diese Zusammenführung beider Ideologien zeigte sich im mörderischen Wüten und den grausamen Vergewaltigungen der Hamas-Terroristen am 7. Oktober. 

Wie weitermachen?

Auch – oder gerade – wenn sich im momentanen Zeitgeist des Popfeminismus tragischerweise eher eine Abkehr davon zeigt, muss Feminismus Emanzipation als die Abschaffung von Herrschaft universell verhandeln und darf dabei Jüdinnen und Juden nicht ausschließen, wenn er seinen eigenen Prinzipien treu bleiben will.

Wir plädieren als Feministinnen dafür, eine intersektionale Analyse herrschaftsstabilisierender Ideologien ernst zu nehmen und sich diese in ihrer Wechselwirkung anzuschauen. Wenn wir nun die Frage stellen: „Wie weitermachen?“, so lautet unsere Antwort: mit Vehemenz und einem Blick auf die Struktur der Sache. Die Fähigkeit, Widersprüche als Gesellschaft auszuhalten und empathisch zugewandte Diskurse auf Augenhöhe zu führen, ist entscheidend für unseren Weg nach vorne – und von unseren Veranstaltungen wissen wir, dass dies im kleinen Rahmen umsetzbar ist, was die Hoffnung darauf verstärkt, dass es auch im großen Rahmen möglich sein kann.

Amrei Martschinke, Margareta Felicia Stern und Sophia Middeke

für das KEINE LIEBE Kollektiv

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