POV: Jüdische Studentin an der Columbia University

POV: Jüdische Studentin an der Columbia University

Vor zwei Jahren bin ich an die Columbia University gekommen, in der Hoffnung, eine angesehene Ausbildung zu erhalten und eine einladende jüdische Gemeinschaft zu finden. Als Teil des gemeinsamen Programms mit dem Jewish Theological Seminary of America (JTS), wird es mir ermöglicht, einen Abschluss an der Columbia und einen am JTS in Jüdischen Studien zu machen. Obwohl ich sicherlich die schönste jüdische Gemeinschaft gefunden habe, ist meine erhaltene Bildung nicht so „prestigeträchtig“, wie ich einst dachte. 

Mein erstes Jahr an der Columbia war für mich eine Reise durch mein Judentum. Die riesige jüdische Gemeinschaft in New York spielte bei meiner Entscheidung, an die Columbia zu gehen, eine Rolle, aber ihr Einfluss auf meine College-Erfahrung übertraf meine Erwartungen. Auf dem Campus fühlte ich mich wohl und war stolz darauf, meinen Mitstudierenden zu sagen, dass ich Jüdin bin, was ich nie in Wien empfunden hatte. 

Nichtjüdische Studierende haben nie negativ reagiert, als ich ihnen sagte, dass ich Jüdin bin, oder mein Verhältnis zu Israel in Frage gestellt – zumindest bis Oktober 2023. 

Am ersten Freitag im Oktober ging ich wie jede Woche zum Schabbat-Essen in die Chabad-Gemeinde in Columbia, wo wir gemeinsam den jüdischen Feiertag Simchat Tora feierten. Keiner von uns ahnte, was am nächsten Tag auf uns zukommen würde. Am Samstag wurden meine Gruppenchats mit Nachrichten überflutet, die mich darüber informierten, was in Israel passiert war, während alle anderen inklusive mir in den USA schliefen. Obwohl es Shabbat war, wurden im Hillel Center for Jewish Life auf dem Campus auf allen Etagen Nachrichtensendungen ausgestrahlt, und die Studierenden saßen angespannt davor und erfuhren von den Schrecken, die am 7. Oktober begangen worden waren. Meine Augen waren auf den Fernsehbildschirm fixiert, ich konnte nicht wegsehen. Ich glaubte fest daran, dass unsere jüdische Gemeinschaft das überleben wird, wie schon so oft zuvor. 

Auf dem Campus der Columbia war die Sicherheit der jüdischen Studierenden erstmals am 12. Oktober bedroht. Jede:r jüdische Columbia-Student:in, unabhängig von ihrer:seiner politischen Zugehörigkeit, erinnert sich an diesen Tag. Nur fünf Tage nach dem Massaker vom 7. Oktober durch die Hamas – dem tödlichsten Angriff auf Jüdinnen und Juden seit der Shoah – plante die Organisation „Columbia Students for Justice in Palestine“ (SJP) einen Protest auf dem East Lawn der Hauptbibliothek der Columbia, im Herzen des Campus. Wir jüdische Studierende waren empört, als wir von diesem Protest hörten. Wir hatten kaum Zeit zu trauern und mussten schon das feiern dieses unmenschlichen Angriffs an unserer Universität ertragen. Fünf Tage waren alles, was die SJP brauchte, um das Massaker für ihre verdrehte Erzählung zu nutzen. 

In der jüdischen Gemeinde gab es unzählige Reaktionen, während wir darum rangen, uns über den Charakter unseres Gegenprotests zu einigen. Die Leiter:innen der jüdischen und pro-israelischen Gruppen auf dem Campus entschieden sich schließlich für einen stillen Protest; das Hauptziel zu diesem Zeitpunkt war das Gedenken an die Opfer des 7. Oktobers. 

Am 12. Oktober um 16:30 Uhr versammelten sich die jüdischen und pro-israelischen Studierenden friedlich auf dem Rasen. Wir standen in Stille für jedes Opfer des Massakers, während wir Schilder für die Geiseln und Plakate gegen die Hamas hoch hielten. Gegenüber der SJP-Protest, der die Zerstörung Israels skandierte – und wir waren gezwungen zuzuhören. Die Kombination aus den hasserfüllten Gesängen und dem unerträglichen Schmerz, den wir so kurz nach dem 7. Oktober trugen, machte diesen Tag für uns zu einem unvergesslichen und eindringlichen Erlebnis. Die meisten von uns waren in Tränen aufgelöst, andere waren völlig schockiert – wir konnten unseren Augen nicht trauen. Während ich davon überzeugt bin, dass es möglich sein kann, für ein freies Palästina zu sein, ohne gleichzeitig gegen das Existenzrecht Israels zu sein, hat sich die SJP nur um Letzteres gekümmert. Weder wurden die Geiseln erwähnt, noch wurde die Hamas mit einem einzigen Wort verurteilt. 

Der 12. Oktober traumatisierte die jüdische Studierendengemeinschaft der Columbia für viele Wochen, und ich weigerte mich eine Zeit lang, einen Fuß auf den Campus zu setzen. Ich konnte nicht glauben, dass Hunderte Studierende so schnell in so verkürzte Erklärungsmuster verfallen und die zivilen Opfer auf israelischer Seite prompt vergessen konnten.

Lange war ich davon überzeugt, dass sich die Situation von da an nicht mehr verschlechtern könnte. Wie wir heute wissen, wurde ich eines Besseren belehrt. Die SJP hatten seit ihrem ersten Protest massiv an Popularität gewonnen (ich hatte vor Oktober noch nie etwas von ihnen gehört), und ihre Inhalte wurden in ihrer Rhetorik immer antisemitischer. Die Studierenden sind blind für Judenhass geworden, und wenn man ihn anspricht, delegitimieren sie ihn sofort und sprechen uns unsere Erfahrungen ab. Seit Monaten verfolge ich wie besessen den SJP-Instagram-Account, aus Angst davor, was noch kommen wird. Diese Gruppe hat sich ein Vokabular angeeignet, das jedes Mal wie ein Skript rezitiert wird, sobald sich jemand nähert, der sich ihnen gegenüber kritisch äußert. Es wird mit Begriffen wie „Völkermord“, „ethnische Säuberung“ und „Apartheid“, herumjongliert ohne zu wissen, was diese eigentlich bedeuten und ohne die genozidale Dimension des Massakers vom 7. Oktober anzuerkennen. 

Gegen Ende des zweiten Semesters dachten wir, der SJP-Trend sei abgeflaut, aber es stellte sich heraus, dass sie sich lediglich auf den größten Protest seither vorbereiteten. 

Am 17. April baute die SJP ein Lager auf dem East Lawn auf. Demselben Rasen, auf dem sie am 12. Oktober protestiert hatten. Sie schlugen ihre Zelte auf einem der teuersten Campi in den USA auf und nannten es „Liberation Zone“ oder „Gaza Solidarity Encampment“. Was als absurder, unsensibler Protest mitten auf dem Campus begann, führte zu einem weltweiten Trend der Mobilisierung auf dem College-Campus. Ich war gezwungen, täglich an dem Lager vorbeizugehen, und hörte antisemitische, anti-israelische Sprechchöre wie „Wir wollen keine Zionisten hier“. Wenige Tage später, am 21. April, kam es sogar dazu, dass jüdischen Student:innen Dinge wie „you love killing babies, don´t you?“ „you Nazi bitch“ oder „Yahood Yahood, go back to Poland“ an den Kopf geworfen wurden. Ganz zu schweigen von dem Fall, wo einem einzelnen jüdischem Demonstranten, von einer Gruppe Campierender, seine Israel-Flagge gewaltsam entrissen wurde. Zwar versuchten sie die Flagge danach anzuzünden, jedoch gelang es ihnen nicht. Als die Polizei das Lager räumte, versammelten sich tausende Student:innen auf den Rasenflächen, und vor meinen Augen entstand ein Kufiya-tragender Mob. Ich hatte mich noch nie zuvor so isoliert gefühlt. Student:innen, die bisher noch keine starke Haltung zum Krieg eingenommen hatten, wurden von den SJP radikalisiert. Sie verbaten Zionist:innen den Zutritt zum neuen Camp und ein „repeat-after-me“-Trend wurde gestartet, der die Student:innen im Wesentlichen zu antisemitischen Papageien machte. So war es leicht, sich ohne viel nachzudenken politisch zu fühlen.   

Das Zeltlager dauerte 13 Tage. Am letzten Tag drangen Studierende des Camps gewaltsam in ein universitäres Gebäude ein und besetzten es. Anschließend warfen sie ein Schild mit der Aufschrift „Hind‘s Hall“ (Die Intifada-Camper fordern unter anderem die Umbenennung der Hamilton Hall zu „Hind‘s Hall“ zu Ehren von Hind Rajab, einem palästinensischen Kind, das im Israel-Gaza Krieg starb) aus einem der Fenster und ein weiteres mit der Aufschrift „Intifada“ herunter. Glücklicherweise ergriff die Universitätsleitung schließlich Maßnahmen, löste das Lager am 30. April auf und verhaftete die verantwortlichen Student:innen. Am nächsten Tag war der Campus geschlossen und die Straßen waren leer. Die Ruhe gab mir endlich Zeit, um zu reflektieren, was seit Oktober geschehen war. Der Campus war zu einem Kriegsgebiet der Ideen geworden. Wenn Menschen aufhören zu denken und einfach tun, was man ihnen sagt, kann das katastrophale Folgen haben. 

Ich bin nicht blind für menschliches Leid, und mein Herz schmerzt für die Opfer in Israel und Gaza gleichermaßen. Mein Mitgefühl ist nicht begrenzt, warum sollte es das der anderen schon sein? Obwohl wir gezwungen wurden, als Sprachrohr Israels aufzutreten, haben wir uns der Situation gewachsen gezeigt. Ich werde Columbia nicht verlassen, auch wenn sie das wollen. Meine jüdische Gemeinde ist stärker denn je, und wir wissen, dass dies nur eine weitere Manifestation von unverhohlenem Antisemitismus ist. Niemand kennt Verfolgung so gut wie Jüdinnen und Juden, aber wir sind hier, um zu bleiben.


Alix Gilkarov

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