Queer Israeli Cinema: Auf der Suche nach Normalität

Queer Israeli Cinema: Auf der Suche nach Normalität

The Bubble von Eytan Fox ist mehr als ein Film über eine schwule Romanze. Er ist eine tiefgründige Erforschung von Liebe, Identität und der Suche nach Normalität in einer komplexen Welt, die von Konflikten und Unterdrückung geprägt ist. Der Film besticht durch zeitlose Relevanz, dessen Geschichte fast zwanzig Jahre nach seiner Veröffentlichung drängender denn je erscheint.

Eine Stadt, eine Blase – Tel Aviv. Das vermeintlich queere Mekka im Nahen Osten. Die liberale Oase innerhalb des ansonsten von Spannungen geprägten Israels. Hier entspinnt sich die Handlung von Eytan Foxs Drama aus dem Jahr 2006, das seine Aussagekraft seitdem keineswegs verloren hat. Im Zentrum der Handlung stehen drei junge Israelis: Noam, Yali und Lulu, deren Leben sich behutsam vor den Augen des Publikums entfalten. In ihrer gemeinsamen Wohnung in Tel Aviv frönen sie dem Hedonismus, leben und lieben wild, stellen gesellschaftliche Normen und Perspektiven vehement auf die Probe. Drei junge rebellische Freigeister, die durch das knallige Tel Aviv taumeln, bis Noam an einem Checkpoint in der Westbank die graue Realität einholt. Bei einer Routinekontrolle der palästinensischen Menschen, die den Checkpoint überqueren wollen, lernt Reservist Noam, Ashraf kennen. Schnell entwickelt sich eine Liebesbeziehung zwischen dem Israeli und dem Palästinenser aus Nablus, die Ashraf dazu verleitet, illegal – also ohne Papiere – in Tel Aviv sein Begehren auszukosten. Die junge Liebe wird abrupt gestört, als Ashrafs Identität auffliegt und einmal mehr klar wird, dass nicht alle queeren Identitäten einen Hafen im Safespace Tel Aviv finden. 

Ashraf geht zurück nach Nablus, in den Schoß seiner einflussreichen Großfamilie, denen er vorgaukelt, eine Affäre mit einer Frau zu haben, die vermeintlich nicht-muslimisch ist. Mit dem vorgeschobenen Grund für seine Geheimniskrämerei wird klar, welchem Ausmaß an Queerfeindlichkeit Ashraf ausgesetzt ist und in welcher ausweglosen Situation er sich befindet. Während er am Checkpoint durch seine palästinensische Identität diskriminiert wird, muss er in seinem palästinensischen Umfeld sein Queer-sein verleugnen. Mit Noam hat Ashraf allerdings jemanden gefunden, den diese Ambivalenzen überhaupt nicht interessieren. So nimmt Noam ihn eines Tages in ein Theater in Tel Aviv mit, wo sich die beiden Bent anschauen, das erste queere Holocaust-Drama von Martin Sherman. 

Die Freiheit des Anderen

Die Erstaufführung von Bent in den 1980er Jahren in Deutschland markierte einen wichtigen Schritt der Anerkennung und Sichtbarkeit von LGBTQ+-Geschichten im historischen Kontext des Holocaust. Es brachte erstmals die oft übersehene Geschichte homosexueller Opfer ans Licht und trug zu einer umfassenderen Erinnerungskultur bei, auch in Israel. Dass Noam und Ashraf, deren Lebensgeschichten tief mit dem Nahost-Konflikt verwoben sind, sich ausgerechnet dieses Stück anschauen, gibt Anlass nachzudenken. Die beiden KZ-Häftlinge, einer schwul, der andere Jude, geben sich einander verbal hin, leise und vorsichtig, vor den Augen der KZ-Wachen. Ashraf und Noams Augenpaare fixieren die Schauspieler auf der Bühne – ihre Hände tief ineinander geschlagen. Als Zuseher:in sieht man zwei verbotene Liebespaare abwechselnd im Close-Up und kommt nicht drum herum, Parallelen zu suchen und womöglich zu finden, obwohl sie eigentlich so unmöglich sind. 

Eytan Fox schafft es, mit Ashraf eine Figur zu inszenieren, die die Komplexität von palästinensischen queeren Identitäten nachzeichnet, ohne dabei anzuprangern oder zu pinkwashen. In dem Film wird deutlich: Israel ist kein Schutzraum für queere Menschen, sondern für jüdische, die unter anderem auch queer sind. Genauso klar wird, dass in Palästina ein offenes Queer-sein prinzipiell nicht möglich ist und queere Menschen unter dem Radar und in ständiger Bedrohung leben. Diese persönliche Bedrohung spitzt sich durch den anhaltenden Konflikt und den damit verbundenen Lebenserfahrungen zusätzlich zu, sodass es für Ashraf  nirgendwo einen Schutzraum gibt. Kaum überraschend, dass Eytan Fox sich für eine schwule, israelisch-palästinensische Version von Romeo und Julia entschieden hat, ein Stück, das bekannterweise kein gutes Ende findet. 

Parallelen zwischen der klassischen Liebesgeschichte von Romeo und Julia und modernen queeren Stoffen sind oft verwendete Erzählelemente, in denen die Tragik durch die Unfreiheit der Protagonist:innen verstärkt wird. Der an Rosa Luxemburg angelehnte Satz „Keiner ist frei ohne die Freiheit des Anderen“ lässt sich auf Bent, auf The Bubble und eine Reihe anderer queerer Geschichten anwenden. In Bent sterben sowohl der jüdische als auch der queere Charakter als Symbol für die Verbindung zwischen verschiedenen Formen der Unterdrückung. Ebenso tragisch endet The Bubble und verdeutlicht abermals, dass die Freiheit und das Wohlergehen eines Einzelnen untrennbar mit der Freiheit und dem Wohlergehen aller verbunden sind.

Alles Pinkwashing?

Queere Geschichten, deren Inhalt nicht per se und allein in der Queerness liegen, führten in Israel ab den 2000er Jahren durch Eytan Foxs Filme wie Yossi & Jagger (IL 2003), der Homosexualität in der israelischen Armee thematisierte, und eben The Bubble, zu einem eindeutigen Wandel. Erste Annäherungsversuche an LGBTQ+-Themen im israelischen Kino gab es jedoch viel früher, etwa im Film Große Augen von Uri Zohar aus dem Jahr 1974. Dieser Film war einer der ersten, der Homosexualität thematisierte, wenn auch auf sehr subtile und indirekte Weise. Während frühe LGBTQ+-Figuren in den 1980er Jahren oft noch mit Bedacht dargestellt wurden und sich auf innere Kämpfe und gesellschaftliche Ablehnung konzentrierten, stellen Eytan Foxs Filme nicht mehr nur queere Charaktere in den Mittelpunkt, sondern betten ihre Geschichten in breitere gesellschaftliche Kontexte ein, wodurch sie auch im Mainstream Anerkennung fanden und einen öffentlichen Diskurs befeuerten. 

Das queere Israelische Kino der letzten Jahrzehnte ist demnach durchzogen von intersektionalen Geschichten, immer im Spannungsfeld von Konflikt, Tradition und Kultur. Haim Tabakmans Eyes Wide Open (IL 2009) zum Beispiel erzählt die Geschichte von Aaron, einem orthodoxen jüdischen Metzger in Jerusalem, der eine leidenschaftliche Beziehung mit einem jungen Schüler namens Ezri beginnt. Der Film bewegt sich zwischen religiösen Verpflichtungen und persönlichen Sehnsüchten und zeigt die Herausforderungen, denen sich LGBTQ+-Personen in konservativ-religiösen jüdischen Gemeinschaften stellen müssen. 

In Between (2016) von Maysaloun Hamoud folgt dem Leben dreier palästinensischer Frauen, die in Tel Aviv zusammenleben. Obwohl der Film nicht ausschließlich eine queere Geschichte ist, erzählt er auch von der lesbischen Laila, die mit den Erwartungen ihrer konservativen Familie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Identität kämpft. Der doch eher seltene Einblick in das Leben queerer palästinensischer Frauen in Israel offenbart die intersektionalen Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. Auch die israelische Dokumentarfilm-Branche beweist mit Filmen wie Nitzan Giladys Jerusalem is Proud to Present (IL 2009) oder Tomer und Barak Heymanns Who’s Gonna Love Me Now? (IL 2016) Mut und eine kritische Haltung und zeigt, dass das israelische queere Kino hingegen aller Pinkwashing-Vorwürfe sehr wohl in der Lage zu kritischer Multiperspektivität und Selbstreflexion ist.

Avia Seeliger

Hinterlasse einen Kommentar