Wer Frauen hasst, ist wahrscheinlich homophob und andersrum

Wer Frauen hasst, ist wahrscheinlich homophob und andersrum

Was haben Frauen- und Schwulenfeindlichkeit miteinander zu tun? Worauf zielen Aussagen wie „Du bist schwul!“ oder „Du benimmst dich wie ein Mädchen!“ eigentlich ab und wieso meinen sie letztendlich dasselbe?  

Im Rahmen meines Studiums führte ich ein kleines Forschungsprojekt an einer Mittelschule im 10. Bezirk durch. Anhand partizipativer Aktionsforschung sollte gemeinsam mit Schüler:innen der vierten Klasse zu einem selbstgewählten Thema geforscht werden. Die Schülerinnen meiner Forschungsgruppe entschieden sich für Sexismus und Homophobie im Zusammenhang mit K-Pop. Grund für ihre Themenwahl war das bestehende Homophobie-Problem in ihrer Schulklasse. Die vier hören gerne K-Pop und werden dafür von den Jungs in ihrer Klasse gehänselt. Alle K-Pop-Sänger seien nämlich schwul und benähmen sich wie Mädchen. Sie tanzten wie Mädchen, kleideten sich wie Mädchen und schminkten sich sogar, was sie zwangsläufig selbstverständlich schwul mache. 

Geschlecht und sexuelle Orientierung beeinflussen maßgeblich unsere Wahrnehmung von Individuen. Sie bestimmen die Konstruktion sozialer Gefüge auf einer persönlichen, strukturellen und institutionellen Ebene. Wie heteronormative und patriarchale Herrschaftsstrukturen ineinander greifen, ob Schwulenfeindlichkeit zwangsläufig frauenfeindlich ist und wo die Schnittstelle zwischen Schwulen- und Frauenfeindlichkeit liegt, lässt sich durch die Auseinandersetzung mit dem Konzept der hegemonialen Männlichkeit analysieren. 

Ideologiesysteme und Macht

Der Begriff Homophobie wird heute von Teilen der Queer-Community kritisiert, da es sich nicht um Angst, sondern um Hass und Abwertung homosexueller Menschen handele. Jedoch ist der Ursprung der griechisch-lateinischen Definition (neben der gängigen lateinischen Definition) interessant: In den 1920er Jahren sprach man für kurze Zeit von der lateinisch-griechischen Zusammensetzung von „Homophobie“ als „Angst vor dem Mann“. Der Soziologe Michael Kimmel definierte den Begriff 1997 als die ultimative Angst eines Mannes, von anderen Männern, als nicht “männlich” genug bloßgestellt zu werden – also als eine Angst vor der Reaktion des eigenen Geschlechts. Diese Definition greift bereits das Konzept der hegemonialen Männlichkeit auf, da es sich bei Homophobie neben der religiösen Pathologisierung auch um die Abgrenzung und Festschreibung von Männlichkeit handelt. 

Misogynie, also Frauenfeindlichkeit oder Frauenverachtung, fasst gesellschaftliche Einstellungsmuster zusammen, die einen geringeren Wert von Frauen und einen höheren Wert oder eine höhere Relevanz von Männern vertreten. Frauen und weiblich gelesene Personen werden demnach nicht als gleichberechtigte Subjekte wahrgenommen, sondern zu Objekten der Lust abgewertet, die es mit allen Mitteln zu kontrollieren gilt. Sei es die Mystifizierung der Vulva, die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die ökonomische Ausbeutung der in den Haushalt gezwungenen Frau: Der Versuch, Frauenkörper zu kontrollieren und besitzen zu wollen, ist Teil eines ideologischen Systems, das Frauen untergeordnete Positionen mit eingeschränktem Zugang zu Macht und Entscheidung zuweisen möchte. Soziale Geschlechter sind voneinander abhängig und immer in Relation zueinander zu verstehen. So spielt das weibliche Geschlecht eine entscheidende Rolle in der Konstruktion der hegemonialen Männlichkeit. 

Hegemonie, intern und extern

Hegemoniale Männlichkeit verkörpert die “ehrbarste” Version des Mannes und setzt voraus, dass sich alle anderen Männlichkeiten ihr unterordnen müssen. Darüber hinaus legitimiert sie die ideologische Unterordnung von Frauen. Beim Konzept der hegemonialen Männlichkeit ist die Spaltung der Männlichkeiten und vor allem die Ausgrenzung und Unterordnung von homosexuellen Männern ein zentrales Anliegen, woran das Konzept der Heteronormativität anknüpft. In der Soziologie werden zwei Formen hegemonialer Männlichkeit unterschieden: „Externe Hegemonie“ beschreibt die Institutionalisierung männlicher Macht über Frauen, „interne Hegemonie“ die Vormachtstellung einer Gruppe von Männern über alle anderen. Das Patriarchat und dessen Kultur finden in diesem Erklärungsmuster eine sehr simple Zuschreibung für schwule Männer: Sie sind nicht “männlich” genug. Wenn sich Gegensätze anziehen, bedeutet das, dass jemand, der sich zu Männlichkeit angezogen fühlt, weiblich sein muss. Und wenn es nicht der Körper ist, dann ist es die Psyche. Hegemoniale Männlichkeit ist also notwendigerweise heterosexuell, da sie sich unter anderem durch die Abgrenzung und Abwertung von Frauen und durch ein objektivierendes Verhältnis zu ihnen definiert. Die Beziehung zu ihnen muss zweckgebunden sein und darf nicht auf Augenhöhe stattfinden, was beispielsweise Freundschaften ausmacht, dies würde nämlich Gleichwertigkeit suggerieren. So wird das Verhältnis zu Frauen auf die sexuelle Befriedigung und die Reproduktion reduziert und eine sexuelle Dominanz konstruiert, ohne die die Männlichkeit erheblich geschwächt wäre. Das männliche Begehren nach körperlicher Befriedigung (durch Frauen) ist so gesehen als Akt der Machtausübung zu verstehen und beeinflusst jede Interaktion zwischen Frauen und Männern, auch wenn die Objektivierung nicht explizit beabsichtigt oder ausgesprochen wird. Hegemoniale Männlichkeit ist demnach kein Konzept, das schwulen Männern offen steht, denn sie grenzen sich nicht von Frauen durch eine zu ihnen zweckgebundene Beziehung ab. Somit haben sie Männlichkeit verraten, weil sie das Spiel der heteronormativen Hierarchie nicht mitspielen – und damit entlarven. Hegemoniale Männlichkeit bedeutet letztendlich eben vor allem Nicht-Weiblichkeit. 

Während des Forschungsprojektes fragte mich eine Schülerin, wie es sein könne, dass jemand als schwul und gleichzeitig als Mädchen bezeichnet werden könne. Ich fragte sie, warum sie glaube, dass diese abwertenden Aussagen praktisch austauschbar seien. Sie überlegte kurz und antwortete dann entschieden: „Wer schwul ist, der ist kein Mann”. Schnell gerät man da in Erklärungsmuster, die versuchen, Jugendlichen verstehen zu geben, dass nicht jeder Mann diesem Ideal entsprechen muss und es ja noch so viele andere Möglichkeiten gäbe männlich zu sein. Um jedoch die Hierarchie der hegemonialen Männlichkeit zu stürzen, reicht der Versuch, Männlichkeit neu zu definieren oder alternative Männlichkeiten zu fördern, nicht aus. Es schafft lediglich weitere Subkategorien in dem Machtverhältnis der Geschlechterrangordnung und wirkt daher systemstützend. Die Idee der Männlichkeit muss daher mitsamt der ihr inhärenten Herrschaftsideologie als Ganzes abgeschafft werden. 

Sashi Turkof

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