Demokratisches Dilemma 

Demokratisches Dilemma 

Wie sich der Krieg in Nahost auf die Wahlen in den USA auswirkt

Einer der Gründe, warum es dringend an der Zeit wäre, dass Europa zusammenwächst und insbesondere seine Außen- und Sicherheitspolitik auf die Reihe bekommt, liegt nicht zuletzt in den Kriegen und Konflikten, die in Europa selbst und an seinen Grenzen stattfinden. Dieser Umstand wird nochmals dadurch verschärft, dass die US-amerikanische Schutzmacht, auf die wir uns bisher sehr sorglos verlassen, alle vier Jahre – ob der Parlamentswahlen eigentlich alle zwei – zu einem erheblichen Teil von innenpolitischen und wahltaktischen Motiven geleitet wird, welche die Außenpolitik stark beeinflussen. Diesen Aspekt des US-amerikanischen Wahlsystems bekommen wir gerade im Kontext des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine zu spüren, aber auch in jenem Konflikt, den die Hamas am 7. Oktober vom Zaun gebrochen hat. Hilfszahlungen, von denen die Ukraine noch viel stärker als Israel abhängig ist, werden zunehmend zum Spielball wahltaktischer Überlegungen der regierenden Demokratischen und der oppositionellen Republikanischen Partei. Nachdem die Abwehr des bisher größten, direkten iranischen Raketen- und Drohnenangriffs auf israelisches Gebiet anscheinend Material im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar in einer einzigen Nacht verbraucht hat, sind diese finanziellen Hilfen auch für den Zwergstaat Israel überlebenswichtig, um sein Arsenal an High-Tech Flugabwehr von Iron Dome bis zu Arrow 3 einsatzbereit zu halten. 

Das US-amerikanische Wahlsystem ist noch dazu extrem föderal. Durch das Mehrheitswahlrecht, das bei der Präsidentenwahl über ein Wahlmännersystem umgesetzt wird, haben sich historische Verhältnisse ergeben, die an vielen Orten zu starren Wahlergebnissen geführt haben. So gibt es eine Reihe von Orten, die quasi irrelevant sind, weil sie ohnehin immer von derselben Partei gewonnen werden. An diesen Orten findet der demokratische Wettbewerb im Zuge der Vorwahlen eher innerhalb einer einzelnen Partei statt. Bei den Vorwahlen entscheidet sich, wer für die Partei in den Wahlkampf ziehen wird. Da zum Beispiel im traditionell liberalen New York City, wo zudem die meisten US-amerikanischen Jüdinnen und Juden leben, die Demokraten gewählt werden und die Stadt durch ihre hohe Bevölkerungsdichte das konservative Umland aussticht, fällt der gesamte Bundesstaat seit langer Zeit an die Demokraten. 

Lautstarke Israelfeindlichkeit

Diese Eigenheiten des US-Amerikanischen Mehrheitswahlsystem führen dazu, dass manche Regionen aus wahlarithmetischen Gründen relevanter sind als andere – selbst wenn diese Orte geringere Bevölkerungszahlen aufweisen. Dementsprechend ist zum Beispiel New York relativ irrelevant, da es für einen Republikaner ziemlich unmöglich ist, dort zu gewinnen, selbst wenn der Name ihres Kandidaten auf einem riesigen Phallus in der Innenstadt prangen würde. Dafür hört man heuer sehr oft von Michigan als relevanten Swing-State. Dieser ehemals industriell geprägte US-Staat ging 2016 an Donald Trump, konnte aber 2020 von Joe Biden zurückgewonnen werden. Obwohl dieser Bundesstaat, wie vergleichbare Bundesstaaten des “Rust-Belts”, laut US-Statistiken vorwiegend von “Weißen” bewohnt wird, gibt es dort eine relevante arabische Minderheit. Manche kennen vielleicht die prominenteste Vertreterin dieser Wählergruppe: die Abgeordnete zum Repräsentantenhaus Rashida Tlaib des 12. Wahlbezirks Michigans. Tlaib ist in der Vergangenheit nicht nur einmal mit äußerst problematischen Positionen zu Israel, dem Nahen Osten und insbesondere der Rolle der USA in diesem Konflikt aufgefallen. Tlaib und ihre Unterstützer beklagen vor allem, dass die USA in Israel ihren Verbündeten sehen, und stellen dies in einen Widerspruch zu ihrem Wunsch nach palästinensischer Selbstbestimmung. Ihrer Ansicht nach ist Israel ein illegitimer Terrorstaat, den es auf dieselbe Stufe zu stellen gilt wie die Hamas. Die antisemitische Parole “From the River to the Sea” wird dabei als Ausdruck des Wunsches nach einer Einstaatenlösung verklärt. Dass so eine Einstaatenlösung unter gleichzeitiger Ablehnung des Zionismus – als Ausdruck jüdischer Selbstbestimmung – nicht in einem palästinensischen Ethnostaat enden würde, ist dabei kein Hindernis, sondern das Ziel. 

Rashida Tlaib, Ilhan Omar und auch die viel gefeierte Alexandria Ocasio-Cortez sind Abstufungen einer zunehmend beunruhigenden Entwicklung innerhalb der Demokratischen Partei, die sich aufgrund ihrer ihrer Ablehnung Netanjahus immer mehr in Richtung antizionistischer Positionen bewegt. Auch manche progressiven amerikanischen Jüdinnen und Juden bewegen sich in diese Richtung. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr jüdische Menschen, die in einem Dilemma stecken und nicht mehr wissen, wen sie eigentlich unterstützen können.

Pro-Iran oder Pro-Israel?

Während rechtsextreme Kreise Biden vorwerfen, ein Unterstützer der Mullahs in Teheran zu sein, finden antizionistische Gruppen innerhalb der Demokratischen Partei, er sei ein “White Supremacist”, der den angeblichen Genozid an den Palästinenser:innen maßgeblich mitorchestriere. Eine Darstellung, über die sich auch Donald Trump sehr freut, der erst vor kurzem gemeinsam mit seinen Fans bei einer Wahlkampfveranstaltung in die “Genocide Joe”-Rufe einstimmte. Dieses Detail sei am Rande erwähnt, um zu verdeutlichen, dass Trump – bei aller Kritik an Biden – natürlich ein noch unzuverlässigerer Partner wäre. 

Doch ist Biden tatsächlich israelfeindlich? Dieser Vorwurf wurde bereits seinem demokratischen Vorgänger Obama gemacht. Tatsächlich stellen weder Biden noch Obama das Existenzrecht Israels in Frage, noch wollen sie die israelisch-amerikanische Allianz beenden. Obama hatte ein schwieriges Verhältnis zu Netanjahu. Aber konnte man es ihm verübeln? Netanjahu ist ein konservativer Politiker, der über seine Sympathien für viele politische Widersacher von Obama und Biden keinen Hehl gemacht hat. So gesehen ist es Netanjahu, der sich auf die falschen Freunde verlassen hat. Dementsprechend muss man sich fragen, ob die harsche Kritik an Netanjahus Politik durch die amerikanischen Demokraten nicht gerechtfertigt war und ist. Gleichzeitig ist es ebenso angebracht, die lasche Politik der Demokraten gegenüber dem antisemitischen Mullah-Regime und ihren Proxies anzuprangern, unter denen sich auch Hamas und Hisbollah finden. Aber das macht die USA noch lange nicht zu einem politischen Gegner oder gar Feind, auch nicht die Demokratische Partei, sondern zeigt einfach nur das Spannungsverhältnis zwischen Innen- und Außenpolitik auf. Einerseits kann Zusammenarbeit zu mehr Unterstützung führen, andererseits kann zu viel Entgegenkommen als Schwäche ausgelegt werden. Je nachdem, welche Wähler:innengruppe welcher Partei man fragt. Die Polarisierung angesichts des Krieges zwischen Israel und der Hamas findet längst innerhalb der jeweiligen Großpartei statt. Der Großteil der amerikanischen Jüdinnen und Juden wird weiterhin ihrer Partei treu bleiben, und das ist bisher immer die Demokratische Partei gewesen. Niemand, der Bidens Nahostpolitik zurecht kritisiert, wird nur deshalb den völlig unzurechnungsfähigen Antisemitenfreund Trump wählen, der erst kürzlich von einem “Unified Reich” geträumt hat. 

Elias Frederik Weiss

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