WER HAT ANGST VOR ANTIDEUTSCHEN?

WER HAT ANGST VOR
ANTIDEUTSCHEN?

Als die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen gemeinsam mit dem Bündnis gegen Antisemitismus zum Protest gegen das Intifada-Camp am Campus mobilisierten, machte sich in diesem die Sorge breit. Die Organisator:innen riefen zu besonderer Vorsicht auf – “vor allem Eltern mit Kinder!”. Es gab laut ihnen “kein reinkommen mehr aufgrund angekündigter Gewalt von Seiten der Zionisten”. Ein User fragte, ob es stimme, dass “die Pro-Israel Demo scharfe Waffen mit hat??”. Die Migrantifa Wien stellte hinterher fest, es hätten sich “Antideutsche versammelt – just acting like the settlers”. 

Doch wer sind eigentlich diese Antideutschen, die als “Zionisten” oder „Siedler“ mit scharfen Waffen die Jungfamilien des Intifada-Camps in Angst und Schrecken versetzen?

Von Strohmännern- und frauen

Wenn die Proponent:innen des israelbezogenen Antisemitismus von “Antideutschen” schwurbeln, verwenden sie die Bezeichnung als Kampfbegriff. Ähnlich dem Begriff des “Zionismus” spielt die wahre Bedeutung dieser Bezeichnung keine Rolle. Vielmehr handelt es sich  um ein Codewort für angeblich “rassistische Israelsupporter”. Während sie mit  “Zionist” eigentlich “Jude” meinen, zeigt “Antideutsch” auf die linke Szene und den “Verrat” an derselben.

Tatsächlich stehen Antideutsche in einer theoretischen und politischen Tradition, welche die Deutsche Linke mit radikaler Kritik torpediert. Anders als von ihren Feinden behauptet, befassen sie sich dabei nicht so sehr mit Schusswaffen, aber dafür umso mehr mit der post-marxistischen Kritischen Theorie um Theodor W. Adorno und Max Horkheimer. Diese stellten  nach 1945 in ihrem Hauptwerk “Dialektik der Aufklärung” fest, dass die marxistische Geschichtsphilosophie des Historischen Materialismus nach Marx und Engels insofern falsch lag, als dass es keine lineare, quasi gesetzmäßige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in eine sozialistische gab. Was es tatsächlich  in Europa anstelle des Sozialismus gab, war der Rückfall der bürgerlichen Gesellschaft in die Barbarei, also Auschwitz. (In NOODNIK #9 findet sich auf S.12 der Text „Kritische Theorie und Antisemitismus“ von Alon Ishay) Die Kritische Theorie hatte nichts übrig für den Antiimperialismus der 68er-Bewegung in Deutschland, welche als Hauptfeinde die USA und ihren angeblichen “imperialistischen Außenposten” Israel ausmachten; vermutlich wollte man auf diese Weise das Familienglück mit den Nazieltern trotz langer Haare irgendwie erhalten. 

Dieser Antiimperialismus, von dem sich die Antideutsche Linke in der Tradition der Kritischen Theorie in den frühen 90er-Jahren abspaltete, interessierte sich abseits von Revolutionsgesten nicht mehr für eine systemische Kritik an den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen, die das Wesen der im  Kapital formulierten Theorie ausmacht. Demgemäß wollten die langhaarigen Revoluzzer:innen neben ihrer sexuellen Befreiung nur mehr die Reichen und Mächtigen bekämpfen – und wer ist reicher und mächtiger als die Juden?

Dabei kamen tatsächlich scharfe Waffen zum Einsatz, denn die radikale Speerspitze dieses deutschen Antiimperialismus, die Rote Armee Fraktion (RAF), ließ sich von Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) paramilitärisch ausbilden, um gemeinsam mit diesen Flugzeuge zu entführen und unter vorgehaltener Waffe jüdische von nicht-jüdischen Passagier:innen zu selektieren. Dass der berühmte RAF-Anwalt Horst Mahler in den 90ern zur NPD überlief, um dort dieselben Inhalte zu verbreiten wie in den Jahrzehnten zuvor, war also nur konsequent. Auch der antiimperialistische Rapper MaKss Damage wechselte nach seinem gescheiterten Hit „Tötet diese Antideutschen H*rensöhne“ zu den Neonazis, die im Lied platzierte Textstelle „Lass den Davidstern brennen“ hatte dann doch für allgemeine Irritationen in der Linken gesorgt.

Warum antideutsch?

Obschon sich Antideutsche Kommunist:innen gegenwärtig hauptsächlich über den Antagonismus zu Antisemitismus und Aniimperialismus definieren, stand bei der Gründung der Bewegung in den frühen 1990ern ein anderes Problem im Zentrum: Die Wiedervereinigung Deutschlands. Von links nach rechts entlud sich ein Hurrah-Patriotismus, während der deutsche Mob in Rostock-Lichtenhagen die Asylheime anzündete, denn endlich waren die Deutschen wieder ein Volk. Doch daran störten sich die antiimperialistischen Kartoffeln wenig, deren Feindbild waren ja die USA und Israel, die sich gerade in einem Krieg mit dem Regime Saddam Husseins im Irak befanden. Ihre Solidarität galt dabei selbstredlich eben diesem diktatorischen Massenmörder, der gerade die Kurd:innen in der Stadt Halabdscha vernichtet hatte – mit Giftgas aus deutscher Produktion.

Die große Spaltung der deutschsprachigen Linken geschah jedoch erst zu Beginn der 2000er, während der Zweiten Intifada. Die sogenannten “Antiimps” freuten sich über den tapferen Widerstand ihrer Waffenbrüder, die sich in Schulbussen und Teenie-Diskos in die Luft sprengten, um die beinahe ausverhandelte erreichte Zweistaatenlösung zu verhindern und Palästina endlich “judenrein” zu machen. Die Antideutschen fanden den offenkundigen Antisemitismus hinter dieser Terrorwelle weniger cool und kritisierten denselben in der deutschen Linken, die sich zu diesem Zeitpunkt mit wirklich jedem antisemitischen Schreckensherrscher des Nahen Ostens solidarisiert hatte.

In den ersten Jahren dieser Spaltung  gab es keine 9. November-Kundgebung ohne Handgreiflichkeiten mehr, die zwischen “Intifada bis zum Sieg”-rufenden Palischal-Almans und Israelflaggen-schwenkenden Björns ausgetragen wurde. In Wien wurde am 9. November 2003 eine Gedenkkundgebung mit dem Schoah-Überlebenden Karl Pfeifer von der antiimperialistischen Gruppe Sedunia angegriffen, aus der später die Gruppe Dar Al-Janub hervorging – also jene Gruppe, die sowohl hinter BDS-Austria steckt, als auch hinter dem Intifada-Camp am Campus. In diese Zeit fällt auch die Spaltung der kommunistischen Studierendenpartei an der Uni Wien in KSV Lili und KSV-KJÖ, deren Hintergrund gar nicht so nebulös ist, wie oft behauptet wird – der Grund war der Antisemitismus der Letztgenannten.

Ab den 2010er-Jahren lässt sich von einer klaren Hegemonie antideutscher Grundpositionen in der deutschsprachigen Linken sprechen – Existenzrecht Israels, Kritik des israelbezogenen Antisemitismus, Kritik verkürzter oder personalisierter Kapitalismuskritik (gegen Reiche und Mächtige…). Die “Antiimps” verschwanden mit ihren sektenhaften K-Gruppen in irgendwelchen Prepper- oder Führerbunkern, um dort Parteikader und Revolution zu spielen. Die Antideutschen verschwanden insofern, als dass sie kein distinktiver Teil der Linken mehr waren, da ihre Positionen ja im Mainstream derselben aufgingen. 

Als Gruppe übrig blieb tatsächlich das, was in politischen Lagern gemeinhin als “Narrensaum” bezeichnet wird – eine handvoll alter Männer um die Zeitschrift Bahamas, die sich derart in “Islamkritik” und Antifeminismus verrannt hatte, dass sie als sogenannte “Rechtsantideutsche” mehr oder weniger aus der Linken ausgeschlossen wurden.

Zwischen identitärer Verwirrung und dringender Antisemitismuskritik

Auch die coolen Antideutschen verrennen sich beizeiten. Israelfahne über dem Bett, Omer Adam Singsang und hebräische Tattoos haben doch weniger mit Solidarität, als mit der Verwirrung der eigenen Identität zu tun. Und wenn der Antilopenopa Daniel anstelle der Betroffenen am  „Oktobaa in Eurooopa“ leidet, ist das auch irgendwie unpassend. Denn das eigentliche Unternehmen der Antideutschen war es nicht, sich aus Deutschland hinauszuidentifizieren, sondern dieses samt seiner ideologischen Ekelhaftigkeit abzureißen.Trotz dieser gelegentlichen Peinlichkeiten gilt es festzuhalten, dass die Antisemitismuskritik der Antideutschen sitzt, weil sie zutrifft. 

Die Intifada-Camper dieses Erdballs blicken mit einiger Fassungslosigkeit auf diese Anomalie der deutschsprachigen Linken. Ihre einsilbige Erklärung des Phänomens beschränkt sich üblicherweise darauf, den Antideutschen einen “Schuldkult-Knax” zu unterstellen, aufgrund dessen sie ihre Nazivergangenheit auf die Palästinenser:innen projizieren würden. Sieht man davon ab, dass das “Schuldkult”-Argument bisweilen Sache der Neonazis war und sieht man auch davon ab, dass die palästinensische Führung in den 1930er und -40er Jahren tatsächlich eng mit dem Naziregime zusammenarbeitete, bleibt doch ein Stück verdrehte Wahrheit übrig: Während in Deutschland und Österreich ein besonderer Fokus auf der Geschichte und der Gegenwart des Antisemitismus liegt, liegt dieser anderswo auf dem Kolonialismus.

Das ist zwar soweit richtig, jedoch findet sich in dieser Feststellung auch der wesentliche Trugschluss: Israel ist kein imperialistischer Außenposten und kein Kolonialstaat, sondern der Staat für die Verfolgten des Antisemitismus. 

Der Irrsinn hinter diesen Vorwürfen ist besonders offensichtlich, wenn verhetzte Studierende in den USA „Go back to Poland!“ brüllen. Denn dort findet sich auf keiner Karte ein jüdisches Heimatland, aber auf jeder ein Ort namens Auschwitz.

Marvin Schwengelberg

Hinterlasse einen Kommentar